Liturgie - Der Zweite Blick
Um das Jahr 28, vor 1.995 Jahren, wird Johannes‘ Stimme laut; sie wurde nie heiser, sie ist nie verstummt, auch wenn sie nur vorläufig erklingt; die Stimme eines selbstbewussten Ichs, das weiß, was es will. Eine große Persönlichkeit von spröder Attraktivität, die weiß, was sie (nicht) ist. Ein freier Mann mit einer unverwechselbaren Sendung.
Eine Stimme, die in ihrer schonungslosen Deutlichkeit vielleicht nervt, alle Jahre wieder. Eine Stimme wie eine rote Ampel: Bis hierhin und nicht weiter, guter Mensch! Bist du noch zu retten? Dreht um, denn auf den alten Gleisen geht’s nicht weiter. Allen Ernstes denkt Johannes groß von uns: Mit euch ist noch etwas anzufangen!
Bereitet dem Herrn den Weg
Advent: „Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde“, der rechte Augenblick für einen Ortswechsel, die letzte Gelegenheit, mit der Knochenarbeit am eigenen Herzen zu beginnen. Und diese Arbeit an meinem Innenleben ist keine Form der Selbstoptimierung, sondern ein Weg, mein diffuses Leben in Ordnung zu bringen; in Ordnung zu bringen, Gott zu empfangen.
Bibelwort: Markus 1,1-8 (zum Evangelium vom 2. Adventssonntag)
AUSGELEGT!
Eine Stimme ruft in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg.
Johannes der Täufer ist die vielleicht interessanteste Gestalt des Neuen Testaments. Das kommt daher, dass seine Erkenntnis und seine Botschaft wie aus dem Nichts kommen. Er hatte keine Vorläufer, die ihn die neue Botschaft lehrten. Er kannte wohl die Schriften der Propheten, die auf einen Vorläufer hinweisen. Sonst aber kannte er nichts. Johannes kommt aus dem Nichts und weiß alles. Das ist das Faszinierende an ihm. Und kaum weiß er alles und macht alles richtig, beginnt er zu zweifeln. Ist Jesus wirklich der Messias? Weise ich dem Richtigen den Weg? Wir wissen nicht genau, was Johannes zum Zweifeln brachte. Es könnte sein, dass Jesus ihm zu sanft war, zu leise, zu wenig durchsetzungsfähig. Vielleicht war es auch die schlichte Eleganz, mit der Jesus auftrat – im Gegensatz zu Johannes, der ja eher etwas derb wirkt in seiner Kleidung und in seinem Essen. Nur Jesus selbst kann Johannes dann trösten: Selig bist du, wenn du dich nicht an mir ärgerst. Und wieder wissen wir nicht, ob Johannes‘ Zweifel sich dann gelegt haben. Wir wissen aber bis heute, dass Johannes viel mehr ist als nur ein Bote. Er ist der große Zeuge, der Jesus erkennt als den, der er ist: der Sohn des Höchsten. Für ihn setzt Johannes sein Leben ein, bis zum bitteren Ende. Gott wird es ihm ewig lohnen.
Michael Becker
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Quelle: Image-Online; Bergmoser + Höller Verlag AG
Foto 1: Pieter Bruegel II, Die Predigt Johannes des Täufers, 1601
Foto 2: East-Side-Gallery, Foto: Michael Tillmann